Seit Kriegsausbruch sind dem Ausländerzentralregister nach rund eine Million Menschen (Stand Ende Oktober 2022) aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, in der Hoffnung, hier Sicherheit zu finden. Da die Kämpfe in vielen Teilen der Ukraine weitergehen, ist auch der Bedarf an Unterkünften für Geflüchtete weiterhin hoch in Deutschland. Zudem steht der kalte Winter bevor, der die Problematik zusätzlich verschärft. Die Initiative #UnterkunftUkraine hat es sich seit Beginn des Krieges zur Aufgabe gemacht, kostenlose temporäre Privatunterkünfte hierzulande an Geflüchtete zu vermitteln. Insgesamt konnte #UnterkunftUkraine mehr als 54.000 Menschen Schlafplätze anbieten.
Dass private Unterbringung für zahlreiche Geflüchtete die bevorzugte Alternative bleibt, spiegelt sich in der anhaltend hohen Nachfrage auf #UnterkunftUkraine aber auch auf anderen Plattformen wider. Obwohl ca. 85 Prozent der Angebote in den ersten Wochen der Krise registriert wurden, kommen auch heute noch jede Woche neue dazu. Um jedoch den Bedarf an Betten für Geflüchtete decken zu können, ist #UnterkunftUkraine darauf angewiesen, dass Privatpersonen weiterhin bereit sind, ihr Zuhause mit Geflüchteten zu teilen.
Warum eine Verteilung abseits von Großstädten hilfreich ist
Eine Strategie, um möglichst vielen Menschen eine temporäre Unterbringung zu ermöglichen, ist eine gezielte regionale Verteilung. #UnterkunftUkraine vermittelt daher in letzter Zeit verstärkt in Regionen jenseits der Großstädte. Anfänglich war es der Wunsch vieler Geflüchteter, in größeren Städten unterzukommen. Dieses ursprüngliche Bestreben hat plausible Gründe. Denn in der Ukraine herrscht ein starkes Gefälle zwischen Land und Stadt, sodass die Geflüchteten auch hier erst einmal von einer beispielsweise gering ausgeprägten Infrastruktur auf dem Land ausgingen. Außerdem gibt es in vielen deutschen Großstädten bereits etablierte ukrainische Communitys, was für viele ein hilfreicher Anknüpfungspunkt ist.
Die Abbildung zeigt den Anteil der Vermittlungen von Geflüchteten in Regionen abseits der Großstädte in den Bundesländern (definiert mit > 100.000 Einwohner*innen). Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Berlin sind entsprechend mit 0% gleichgesetzt. Quelle: #UnterkunftUkraine
Regionen abseits der Großstädte bieten dabei eine Reihe von Vorteilen. Zum einen kann dort der Bedarf an privater Unterbringung mehrköpfiger Familien eher gedeckt werden als etwa in Ballungsräumen, wo ohnehin schon Wohnungsknappheit für Familien herrscht. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen der angebotenen Unterkünfte auf #UnterkunftUkraine wider. Für Ankommende kann es zu weniger beengten Wohnverhältnissen führen und auch die Mitnahme von Haustieren erleichtern. Darüber hinaus herrscht hier häufig weniger Anonymität. Bei einer ausgeprägten Gemeinschaft könnte daher durch gemeinsame Aktionen der Alltag der Geflüchteten zusätzlich bereichert werden.
Für die Gemeinden selbst kann der Empfang von Geflüchteten eine Reihe von Vorteilen bieten, die über die humanitäre Hilfe hinausgehen. So wurde in der aktuellen Studie „Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands“ (Mehl et al.) herausgefunden, dass die befragten Bewohner*innen Entwicklungschancen im Kontext von Abwanderung und Alterung sehen und die Aufnahme von Geflüchteten zur Verringerung des Fachkräftemangels beitragen kann. Gleichzeitig bringt die Unterbringung in Regionen abseits von Großstädten auch Herausforderungen mit sich. Dazu gehören je nach Ort beispielsweise längere Fahrtstrecken zur Schule, zu Sprachkursen oder zu Ärzt*innen. Zudem ist es möglich, dass der Alltag mit den häufig älteren Einwohner*innen auf dem Land für jüngere Geflüchtete aufgrund weniger gemeinsamer Interessen schwieriger ist.
Eine langfristige Unterbringung zu finden ist eine große Herausforderung
Insbesondere zu Beginn sind die kostenlosen Hilfsangebote der Gastgebenden essenziell und wertvoll für Ankommende. Zumal niemand am Anfang vorhersehen kann, wie lange die Erstunterbringung notwendig sein wird. Für ein dauerhaftes Einleben ist es jedoch zumeist förderlich, wenn die Geflüchteten nach der Ankunft in einer ersten kurzfristigen Unterkunft eine Langzeitunterbringung finden. Dies gestaltet sich allerdings je nach Region unterschiedlich schwierig.
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat in Zusammenarbeit mit #UnterkunftUkraine eine Untersuchung über die Situation von aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Deutschland durchgeführt. In Bezug auf die Schwierigkeit, eine Folgeunterbringung zu finden, wurde festgestellt, dass im Durchschnitt 55 Prozent der privaten Unterbringungen endeten, weil eine Langzeitunterkunft wie beispielsweise eine eigene Wohnung gefunden wurde. Der regionale Unterschied ist beträchtlich: Während nur 17 Prozent der Geflüchteten in Thüringen und 40 Prozent im Saarland nach der ersten privaten Unterkunft bei Gastgebenden eine Langzeitbleibe gefunden haben, sind es in Sachsen 85 Prozent und in Rheinland-Pfalz 88 Prozent. Zu den Gründen für diese geografischen Unterschiede könnten die unterschiedlichen Gegebenheiten auf dem jeweiligen Wohnungsmarkt gehören, also die Frage, wie viele Wohnungen grundsätzlich in der jeweiligen Region verfügbar sind. Darüber hinaus könnte die Vermittlung über private soziale Netzwerke in der Nachbarschaft oder die öffentliche Organisation der Wohnungsverteilung je nach Ort unterschiedlich gut ablaufen.
Wohnort der Geflüchteten nach dem Verlassen der ersten privaten Unterbringung in Deutschland. Quelle: DeZIM Insights Working Paper “New platforms for engagement: Private accommodation of forced migrants from Ukraine”,
September 2022 Haller et al.
Die Studie von Mehl et al. bestätigt, dass die Suche nach einer privaten Folgeunterbringung grundsätzlich einfacher in Regionen abseits von Ballungszentren ist, da dort relativ günstige Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Mietwohnungen herrschen. Jedoch werden auch hier Herausforderungen genannt. Diese ergeben sich vor allem aus einem Missverhältnis zwischen dem Wohnungsangebot einerseits und dem Bedarf an bestimmten Wohnungsgrößen andererseits. Zudem stellt die Lage des verfügbaren Wohnraums eine potenzielle Problematik dar, da dieser oftmals in Gemeinden liegt, die nicht gut mit dem ÖPNV angebunden sind (Mehl et al. 2023).
Viele Geflüchtete und ihre Gastgebenden stehen also vor einer großen Herausforderung, wenn es an die Organisation einer langfristigen Folgeunterbringung geht. Dies kann auch der Gastgeber Jörg Hainski bestätigen, der gemeinsam mit seiner Frau zwei Ukrainer*innen aufnahm:
“Die Wohnungssuche verlief dramatisch und ich war schon kurz davor aufzugeben, weil mir die Stadt außer warmer Worte keine Unterstützung dazu gegeben hat. Ich habe meinen Vermieter informiert, dass ich im Rahmen des Besuchsrechts ukrainische Geflüchtete für 6 bis 8 Wochen als Besuch aufnehmen werde. 4 Monate später hatte die eine Ukrainerin aber noch keine Folgeunterbringung gefunden. Es kann doch nicht sein, dass mein Vermieter sie irgendwann auf die Straße setzt und ich nichts dagegen machen kann? Die Stadt teilte mir daraufhin mit, dass ich sie erst dann informieren soll, wenn die Geflüchteten bereits aus der Wohnung raus mussten.“
Jörg Hainski, Gastgeber
Die weiteren Ergebnisse der DeZIM-Umfrage geben Hinweise darauf, wie die Erfahrung der Privatunterbringung verbessert werden kann. So gaben viele Gastgebende an, mit frustrierenden bürokratischen Hürden konfrontiert zu sein. Viele Unterbringende wünschen sich demnach praktische Unterstützung wie Checklisten für eine erfolgreiche Aufnahme und finanzielle Hilfe sowie einen Austausch mit anderen Gastgebenden. Insbesondere die Organisation der Folgeunterbringung ist für viele eine große Herausforderung, da sie sich für das Schicksal der bei ihnen Untergekommenen verantwortlich fühlen. Daher wünschen sie sich staatliche Unterstützung bei der künftigen Wohnungssuche.
Fazit:
Zusammengefasst bleibt es eine große Herausforderung, möglichst vielen vom Krieg vertriebenen Menschen eine Unterkunft in Deutschland zu ermöglichen. Georgia Homann, Projektleiterin von #UnterkunftUkraine wünscht sich für die Arbeit ihrer Initiative eine stärkere Bündelung von offiziellen Informationen staatlicher Stellen:
“Es braucht einen zentralen Ort, an dem Informationen für Geflüchtete, Gastgebende sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen abrufbar sind: Wo gibt es verfügbaren Mietraum, Schul- und Kitaplätze? Wo haben Kommunen möglicherweise schon Aufnahmestopps verhängt? Das wäre unglaublich hilfreich – nicht nur für unsere Arbeit, sondern vor allem für Geflüchtete, die Orientierung suchen und letzten Endes auch für eine funktionierende Verteilung in Deutschland.”